Klimagefühle

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Lea Dohm und Mareike Schulze sind Psychotherapeutinnen und haben die deutschen „Psychologists / Psychotherapists for Future“, kurz „Psy4F“ gegründet und stellen in diesem Buch vor, „Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln“.
 
Jede*r von uns, die wir in der Klimabewegung aktiv sind, kennt diese Ohnmachtsgefühle, die einen besonders dann überkommen, wenn man an das große Ganze denkt. Die ultimativen Hilfen gegen diese Gefühle sind:
 
  • handeln, aktiv werden
  • sich mit Gleichgesinnten zusammentun
  • darüber ehrlich sprechen und
  • sich auch an kleinen Schritten und Erfolgen freuen
Und in der Tat, wenn man in diesem lesenswerten Buch die persönlichen Statements z. B. von Carola Rakete, Stefan Rahmstorf oder Özden Terli liest, merkt man, hier denken Menschen wie ich und alleine das hilft schon gegen die Gefühle Angst, Ärger, Wut und Traurigkeit, die als häufig in diesem Zusammenhang vorkommende Gefühle besprochen werden. Besonders erhellend war für mich die Analyse der Autorinnen, mit welchen Abwehrmechanismen wir Menschen arbeiten, um Situationen, die uns möglicherweise überfordern würden, zu vermeiden. Das sind an sich auch gute Strategien für die eigene mentale Gesundheit, im Kampf gegen die Klimakrise aber vielfach die größten Hürden, die es zu überwinden gilt.

1. Verdrängung

Verdrängung ist die am meisten verbreitete Strategie. Insbesondere Menschen zu meiden, die sich gegen die Klimakrise engagieren und vieles in ihrem Lebensstil ändern, ist dafür ein Hilfsmittel. Doch Schuld- und Schamgefühle, die entstehen können, wenn man gegen die eigene Einsicht handelt, müssen mit großem Kraftaufwand verdrängt werden. Dies erzeugt ein Gefühl „kognitiver Dissonanz“, die auf lange Sicht krank machen kann.
Auch der sogenannte „Single Action Bias“, also die Tendenz, sich schon nach einer einzigen klimafreundlichen Handlung besser zu fühlen und z.B. den Flug in den nächsten Kurzurlaub damit zu entschuldigen, ist eine bewährte Methode der Verdrängung.

2. Verleugnung

Verleugnung ist mittlerweile deutlich seltener, kommt aber vor allem in Kreisen des rechten Randes durchaus immer noch vor. Beliebt ist hier die Geschichtskenntnisse vortäuschende Relativierung der Fakten, die eine wahre Aussage in den falschen Zusammenhang stellt: „Klimaveränderungen hat es in der Erdgeschichte immer schon gegeben!“

3. Isolierung

Man reiht verschiedene Probleme der Welt aneinander: Coronakrise, Wirtschaftskrise, Ukrainekrise, Klimakrise als gleichwertige Einzeldramen auf der großen Weltbühne, die eben laufend neu priorisiert werden müssen. Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise sind jedoch keine Einzeldramen, sondern bedrohen die Weltbühne an sich, liegen also allen anderen Krisen zugrunde bzw. stehen in der Wichtigkeit ihrer Bekämpfung immer an oberster Stelle.

4. Verantwortung an die Politik delegieren

Das soll uns erlauben, so weiter zu leben wie bisher. Völlig übersehen wird dabei, dass gerade Demokratien darauf angewiesen sind, dass sich alle Bürger*innen über wichtige Themen informieren, um sich eine Meinung bilden zu können, welche Partei sie wählen wollen, d. h. welche Partei geeignet sein könnte, die Probleme anzupacken.

5. Rettung durch Technische Lösungen

Auch hier steht im Vordergrund, dass man selber nichts ändern muss. Selbst wenn technische Lösungen überragende Ergebnisse bringen, wie zum Beispiel die erneuerbaren Energien, ist es allerdings nicht ausreichend, sich nur darauf zu fokussieren. In allen Sektoren der Klimakrise müssen Fortschritte erzielt werden, z. B. auch im Verkehr (Flüge, PKWs) und in der Ernährung (Fleischkonsum), die sehr viel mit den täglichen Entscheidungen der Konsument*innen zu tun haben.

6. Kapitulation

Man geniesst sein Leben, so gut es geht oder gönnt sich deshalb gerade besonders viel, da eh nichts mehr zu ändern sei. Auf die Malediven zu fliegen, solange es diese noch gibt, ist so eine Maßnahme. Aber selbst, wenn wir auch vieles nicht mehr retten könnten, ist jedes Zehntel Grad Erderhitzung weniger eine Hilfe im Kampf gegen die größte Krise der Menschheit.

Interessant sind auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum sogenannten „Bystander-Effekt “, der besagt, dass je mehr Menschen Zeugen von einer Notlage werden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand hilft. Zu erklären ist das damit, dass sich Menschen sehr stark am Tun anderer Menschen orientieren. „Bleiben alle ruhig, kann es ja so schlimm nicht sein, vermutlich habe ich eine ​falsche Einschätzung der Situation“, so geht da der Denkprozess. Bei der Klimakrise haben wir es mit einem Bystander-Effekt globalen Ausmaßes zu tun. Da die meisten Politiker*innen und auch Wissenschaftler*innen sehr sachlich über das Thema reden, – wenn überhaupt! – kommt die extreme Gefährlichkeit der Klimakrise in den meisten Köpfen nicht an. Insofern hatte Greta Thunberg in Inhalt und Tonlage durchaus recht, als sie 2019 auf dem Weltwirtschaftsforum ins Publikum brüllte: „I want you to panic!“ Ein Gefühl von Panik verschafft eine veränderte Gefühlslage, die die Chance bietet, den Ernst der Lage zu erkennen. Als Dauerzustand taugt das natürlich nicht. Danach muss die Panik transformiert werden in Wissen um die vielen Lösungsmöglichkeiten, die es ja durchaus gibt und in die Energie, zur Handlung zu kommen.

Insbesondere auch die Journalist*innen müssen im Zuge der Klimakrise ihren Arbeitsstil ändern. Bei jeder Äußerung von Politiker*innen muss eine faktenbasierte Einordnung zur Klimakrise mitgeliefert werden und bei fast jedem journalistischen Thema muss der Zusammenhang mit der Klimakrise hergestellt werden. Denn diese steht ja tatsächlich im Zusammenhang mit jedem erdenklichen Lebensbereich. „Die Klimakrise wird den Rest unseres Lebens überschatten und verändern. Das löst unangenehme Gefühle aus. Dieses Buch macht Hoffnung und hilft, dass die Gefühle zum Handeln motivieren, statt zu lähmen.“ Prof. Dr. Stefan Rahmstorf wird so zitiert im Klappentext.

Dem kann ich mich nur anschließen.